Dringende Gründe für aktive Veränderung im Einzelhandel

Wir wollen den Wandel im Einzelhandel aktiv gestalten. Das bedeutet zunächst einmal zusätzliche Arbeit. Die erste Herausforderung ist es, sich aus dem operativen Geschäft loszureißen und die Veränderung anzupacken. Zwischendurch wird es Abschiede und Fehlschläge geben. Genau dann müssen wir uns immer wieder aufraffen und weiterkämpfen. Wie gelingt uns dies? Hier kommen nun Kotters Erfolgsfaktoren aus dem Change Management zum Einsatz: Wir brauchen dringende Gründe für die aktive Veränderung. Sie erzeugen bei den Beteiligten ein Gefühl der Dringlichkeit (den sogenannten „Sense of Urgency“) und geben Motivation.

5 vor 12 - das Bild zeigt eine Uhr, die auf 5 Minuten vor 12 Uhr steht. Im Hintergrund ist eine Steinwand zu sehen. Unten steht: "Dringende Gründe für aktive Veränderung im stationären Handel

Ein Gefühl der Dringlichkeit erzeugen

Ein Anlass für Veränderung kann entweder ein akutes Problem oder eine große Chance sein. Wichtig ist, dass sich Inhaber und Mitarbeiter die Gründe nachvollziehen können. Es hilft beispielsweise, mögliche negative Szenarien aufzuzeigen, die ohne einen Wandel eintreten können. Ziel ist es, alle Beteiligten wachzurütteln und zum Handeln zu bewegen. In Kotters Buch „Das Pinguinprinzip“ entdeckt zum Beispiel der Pinguin Fred, dass der Eisberg, auf dem seine Kolonie lebt, schmilzt. Dies ist der Grund, weshalb die Pinguine losziehen und eine neue Heimat suchen müssen.

Die Change Management Lehre besagt, dass dringende Gründe für eine Veränderung am besten vom Top Management definiert und vorgelebt werden. Führungskräfte zeigen Mitarbeitern auf, weshalb der Wandel erforderlich ist. Dazu werden die Gründe regelmäßig kommuniziert. Eine Visualisierung hilft, die Botschaft zu transportieren.

Dringender Handlungsbedarf im Einzelhandel

Weshalb ist eine aktive Veränderung im stationären Einzelhandel erforderlich? Der Einzelhandel steckt bekanntlich in einer Krise. Corona hat die Probleme nur verstärkt. Die Branche kämpft unter anderem mit hohen Beständen und einer gesunkenen Kundenfrequenz in den Fußgängerzonen. Umsätze des stationären Einzelhandels in der Modebranche liegen unter dem Vor-Corona-Niveau. Hinzu kommt die aktuelle wirtschaftliche Lage. Der GfK-Konsumklima-Index liegt im Januar 2023 bei -37,6 Punkten. Die Unsicherheiten durch den Ukraine-Krieg und die hohe Inflation halten vom Kauf ab.

Wahrscheinlich dachten Sie bei Lesen des vorherigen Abschnitts: „Ja klar, weiß ich, ist ja nichts Neues“. Haben Sie die Punkte wachgerüttelt? Ich nehme an die Antwort lautet „Nein“. Die Argumente mögen zwar faktisch richtig sein. Jedoch erzeugen diese „nüchternen“ Aussagen kein Gefühl der Dringlichkeit. Es ist daher wichtig, dringende Gründe für eine Veränderung individuell für jedes Unternehmen zu definieren.

Anlass zur Veränderung bei Schenken & Genießen

Um den individuellen „Sense of Urgency“ für Schenken & Genießen zu erzeugen, habe ich die Inhaberin (meine Mutter) direkt gefragt: „Warum müssen wir etwas ändern?“ Sie war auf die Frage nicht vorbereitet. Ihre erste Antwort lautete: „Im Einzelhandel muss man sich eben immer verändern“. Diese allgemeine Aussage rüttelt nicht wach, sie dient nicht als Ansporn. An dieser Stelle habe ich mit zusätzlichen Fragen weiter gebohrt: „Was passiert, wenn wir einfach alles so weiterlaufen lassen? Was stört dich aktuell?“. Nach 10 Minuten hatten wir 3 greifbare Gründe:

Dringender Grund #1: Umsatz durch Stammkunden sinkt

Der Großteil der langjährigen Kunden von Schenken & Genießen ist inzwischen um die 60 Jahre alt. Das ist per se kein Problem. Im Gegenteil – ohne diese treuen Kunden gäbe es das Geschäft nicht über 20 Jahre. Nicht selten staunt man, wie perfekt die Outfits dieser junggebliebenen Damen oftmals sind. Jedoch brauchen sie laut eigener Aussage kaum mehr Kleidung. Die Kleiderschränke sind voll. Einige sind nicht mehr berufstätig. Der tatsächliche Bedarf an Mode und Accessoires sinkt im Alter. Der Umsatzanteil der Stammkunden wird durch die abnehmende Kaufkraft geringer.

„Unsere Kunden sterben mit der Zeit weg oder sagen, sie brauchen nichts mehr“

Brigitte Rella-Soller, Inhaberin von Schenken & Genießen in Winnenden

Besonders einschneidend sind die Momente, in denen Todesanzeigen ehemaliger Kunden in der lokalen Tageszeitung erscheinen. „Unsere Kunden sterben mit der Zeit weg oder brauchen nichts mehr“, sagt die Inhaberin. Die Basis der Stammkunden wird somit über die Jahre kleiner.

DringenderGrund #2: Die Kundenfrequenz in Innenstädten sinkt

Diese natürliche Entwicklung wird dann zur Herausforderung, wenn zu wenig „neue“, jüngere Kunden, hinzukommen. Früher war es nicht nötig, aktiv auf Kundenfang zu gehen. Es gab genügend Laufkundschaft. Heute kämpfen stationäre Einzelhändler mit abnehmenden Besucherfrequenzen. Umso schwieriger ist es, Neukunden zu gewinnen und sie zu Stammkunden zu entwickeln.

„Die Innenstadt ist tot. Heute Nachmittag kam ein Kunde in den Laden. Ich habe eine Karte verkauft“, sagte meine Mutter neulich. Einige Einzelhändler haben inzwischen tageweise geschlossen. So wird die Innenstadt zunehmend unattraktiver für Kunden. Spontankäufe werden weniger, der stationäre Umsatz sinkt.

„Die Innenstadt ist tot. Heute Nachmittag kam ein Kunde in den Laden. Ich habe eine Karte verkauft.“

Brigitte Rella-Soller, Inhaberin von Schenken & Genießen in Winnenden

Dringender Grund #3: Es herrscht Personalmangel

Zu den beiden bereits genannten Schwierigkeiten kommt hinzu, dass akuter Personalmangel bei Schenken & Genießen herrscht. Vor Kurzem kündigte eine Mitarbeiterin, da sie aufgrund von Personalengpässen im Unternehmen ihres Mannes aushelfen muss. Somit besteht Schenken & Genießen aktuell aus der Inhaberin und einer Mitarbeiterin auf Minijob-Basis. Steht ein Urlaub an oder kommt ein Krankheitsfall dazwischen, bleibt der Laden unter Umständen geschlossen. Dies bedeutet kein Umsatz, während Kosten wie Miete oder Löhne weiterlaufen. Bewerbungen erhält die Inhaberin kaum.

„Keiner will mehr im Einzelhandel arbeiten.“

Brigitte Rella-Soller, Inhaberin von Schenken & Genießen in Winnenden

3 dringende Gründe für aktive Veränderung bei Schenken & Genießen

Zusammengefasst ergeben sich drei dringende Gründe für die aktive Veränderung:

  • Der Umsatz der Stammkunden sinkt durch abnehmende Kaufkraft im Alter
  • Umsatz durch Laufkundschaft bleibt durch „tote“ Innenstädte aus
  • Es kommt zu Umsatzeinbußen, da der Laden aufgrund von Personalmangel im Krankheitsfall/zu Urlaubszeiten geschlossen wird

Um diese dringenden Gründe zu kommunizieren und zu verinnerlichen, hilft eine Visualisierung. Für Schenken & Genießen nutzen wir dafür 3 Bilder:

  • Die Todesanzeige der zuletzt verstorbenen Stammkundin
  • Eine Kopie des Kassenabschlusses von dem Tag, als nachmittags nur eine Karte verkauft wurde
  • Ein Bild des geschlossenen Ladens

Um die Auswirkung dieser 3 dringenden Gründe zu verdeutlichen, gehe ich noch einen Schritt weiter. Alle 3 Punkte führen letztendlich zu Umsatzeinbußen. Das Problem dabei ist vereinfacht gesagt, dass weniger Geld zur Verfügung steht, um die Rechnungen zu zahlen. Eine Sorge, die Inhaber persönlich betrifft. Zum einen habe ich den Umsatzrückgang im Vergleich zum Vorjahr unter Berücksichtigung der Inflation berechnet und diese Zahl visualisiert. Zum anderen haben ich die aktuelle Umsatzentwicklung für das laufende Jahr prognostiziert und die immer weiter steigenden Fixkosten gegenübergestellt. Das Bild ist stark vereinfacht aber es zeigt deutlich: Der Umsatz wird geringer, während die Kosten – insbesondere für Energie – steigen.

So wird klar:

Wenn wir nichts ändern, sinkt der Umsatz weiter, bis wir schließlich keine Rechnungen mehr bezahlen können.

Fazit und Ausblick

Der dringende Grund für eine Veränderung sollte vom Top Management definiert bzw. vorgelebt werden. Führungskräfte zeigen Mitarbeitern auf, weshalb der Status Quo angepasst werden muss. Im Fall von Schenken & Genießen gibt es aufgrund der Größe keine „Führungskräfte“. In diesem einem Fall erzeugt die Inhaberin das Dringlichkeitsgefühl selbst. 3 dringende Gründe für eine aktive Veränderung wurden benannt und visualisiert. Sie helfen dabei, den Veränderungsbedarf auch nach ersten Erfolgen oder in besseren Phasen nicht aus den Augen zu verlieren. Im nächsten Schritt werden sie innerhalb des Unternehmens kommuniziert. Hierfür nutzen wir die nächste Teamsitzung.

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